Das Gefängnis ist ein Ort, mit dem man sich – wenn man nicht muss – nur selten beschäftigt, so dass sich die meisten Vorstellungen darüber aus Filmen und Fernsehserien speisen und häufig nicht der Realität entsprechen. Die Tatsache, dass im Gefängnis nur sehr grausame, furchteinflößende Menschen sind, ist nur eine dieser Fehlvorstellungen. Das Buch „Mein Papa ist kein Mörder“ zeigt auf, dass auch Menschen, von denen man es nicht erwarten würde, unbeabsichtigt mit dem Gesetz in Konflikt geraten und im Gefängnis landen können. Wie das passieren kann, wie der Alltag im Gefängnis aussieht und welche weitreichenden Folgen eine Inhaftierung für alle mit dem Häftling in Kontakt stehenden Personen nach sich zieht, wird im Buch in eindrücklichen Comic-Sequenzen dargestellt.
Das Buchcover ist wie eine Zellentür gestaltet: Durch einen schmalen Schlitz im oberen Teil der Tür blicken einen die Augen der inhaftierten Hauptfigur der Geschichte an. Öffnet man die Zellentür, landet man direkt im Geschehen. Der Vater von Simon und Vicky kommt plötzlich nicht wie gewohnt nach Hause und ist auch per Handy nicht zu erreichen. Die Mutter weicht den besorgten Nachfragen der Kinder aus und hüllt sich in Schweigen. Als die beiden erfahren, dass ihr Vater Bernd im Gefängnis ist, sind sie zutiefst geschockt. Erst im Laufe der Gerichtsverhandlung erfahren die Leser:innen, was zu der Inhaftierung geführt hat. Während seiner Arbeit als Busfahrer hat Bernd beim Abbiegen einen Radfahrer übersehen und überfahren. Da dieser infolge des Unfalls verstorben ist und der Vater während der Fahrt telefoniert hat, wird er nun wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Im Anschluss an die Gerichtsverhandlung begleiten die Leser:innen die Familie über die kommenden drei schwierigen Jahre. In kurzen Szenen wird Einblick in das Leben im Gefängnis, die Haftbedingungen sowie die strengen Vorschriften für Besuche und Freigänge gegeben. Die Verzweiflung des Vaters und die Gewalt unter den Insassen im Gefängnis werden dabei ebenso schonungslos dargestellt wie die Probleme, die das für die Familie nach sich zieht. Neben finanziellen Schwierigkeiten durch das fehlende Einkommen des Vaters wird die Familie in ihrem Umfeld zunehmend ausgegrenzt, die Kinder werden in der Schule gemobbt und auch die Wiedereingliederung des Vaters nach Absitzen der Haftstraße gestaltet sich schwierig. So erhalten Leser:innen einen differenzierten Einblick in eine Welt hinter Schloss und Riegel, die ihnen im Alltag verborgen bleibt. Die Comic-Zeichnungen sind in rot-schwarz gehalten und bringen insbesondere die starken Emotionen der unterschiedlichen Personen sehr authentisch zum Ausdruck. Geschickt in den Handlungsverlauf eingeflochten sind kurze Infoseiten, auf denen passend zur Handlung Sachinformationen gegeben und Fachbegriffe erklärt werden. Hier erfahren Leser:innen z.B. wie eine Gerichtsverhandlung abläuft, was der Unterschied zwischen Untersuchungshaft und Vollzugshaft ist und welche Kontaktmöglichkeiten Inhaftierte im Gefängnis haben.
Insgesamt eine gelungene Mischung aus spannendem Comic und Sachbuch mit interessanten Einblicken in einen „sehr ausgeklammerten Teil“ unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens.
Christine Hubka, Lukas Vogl: Mein Vater ist kein Mörder. Innsbruck: Tyrolia, 2024. Ab 12 Jahren.