Häusliche Gewalt, Rassismus, Mobbing, der Alkoholismus der Mutter, aber auch ein langersehnter Neuanfang, neue Freundschaften und die erste große Liebe samt Coming-out – im Universum des lyrischen Ichs Nova Nyanyoh passiert viel. Die Befürchtung eines Zuviels, einer thematischen Überfrachtung des Romans, bestätigt sich dennoch nicht.
Nachdem der Vater ihres Halbbruders Cosmo zum wiederholten Mal gewalttätig geworden ist und Nova eine komplizierte Fraktur des Arms zugefügt hat, ziehen die 17-Jährige, ihr Bruder und ihre Mutter aus. Der Start in ein neues Leben in einem anderen Stadtteil Berlins beginnt vielversprechend. Cosmo macht nicht mehr ins Bett, die Mutter wirkt gelöster und Nova sieht in einer Eisdiele zum ersten Mal Akoua. Von da an „interessiert [Nova] nur die eine Sonne“. Die Liebesbeziehung zwischen den beiden jungen Frauen lässt gerade Nova positiver auf die Welt schauen.
Aber die Liebenden existieren nicht in einem luftleeren Raum. Die Welt um sie herum macht sich bemerkbar und führt zu inneren und äußeren Konflikten. So will Akoua zunächst aus Rücksicht auf ihre Ex-Freundin die Liebe zu Nova nicht öffentlich zur Schau tragen, erklärt dies aber nicht rechtzeitig. Nova hingegen zieht sich immer wieder in ihr Schneckenhaus zurück und verstummt, wenn ihr etwas zusetzt. Und davon gibt es mehr als genug: die traumatischen Erfahrungen mit häuslicher Gewalt ebenso wie der übermäßige Alkoholkonsum und die Hilflosigkeit der eigenen Mutter. Außerdem sieht sich Nova als Afrodeutsche beinahe tagtäglich mit Rassismus konfrontiert. Sie glättet ihre Haare, weil die Mitschüler:innen ihr sonst Spuckekügelchen ins Haar schießen und wildfremde Menschen ihr ungefragt ins Haar fassen. Im Wartezimmer sucht die diensthabende Ärztin nach dem weißen Gesicht, dass in ihrer Wahrnehmung zu dem Namen Nova Breitenbauer gehört. „Ja, Schwarzsein trägt viele Namen/ auch diesen hier“, kommentiert Nova lakonisch die Situation in Gedanken.
Zwei einschneidende Ereignisse werden dann zur großen Probe für Nova. Im April wird William Tonou-Mbobda in Hamburg von Sicherheitskräften einer Klinik getötet und in Nova zerbricht etwas: „[Sie verliert sich] im Schmerz/ [im …] eigenen und dem der anderen.“ Dann zieht ihre Mutter auch noch die Anzeige gegen Cosmos‘ Vater zurück, lässt ihn wieder in ihr Leben und in ihre Wohnung. Nova steht an einem Scheidepunkt: Entweder sie übersteht die Ereignisse aus eigener Kraft oder sie zerreißen sie so wie eine Supernova einen Zwergstern zerstört.
Der afrodeutschen Autorin und Spoken-Word-Künstlerin Chantal-Fleur Sandjon gelingt mit ihrem Versroman „Die Sonne, so strahlend und Schwarz“ ein Werk, das die Leser:innen anfasst, nachdenklich macht und einen Einblick in die Lebenslage all derer gewährt, die anders sind. Geradezu leichtfüßig erscheint der Text durch die Versform, birgt aber ein mächtiges Paket an Fragestellungen. Eindrucksvoll vermag Sandjon zu vermitteln, welchen Schaden verbale und physische Gewalterfahrungen, systematischer und struktureller Rassismus anrichten. Genauso berührend stellt sie aber auch die erste große Liebe des lyrischen Ichs dar. Die emotionale Karussellfahrt gelingt ihr nicht nur durch ihre ausdrucksstarke Sprache, sondern auch weil sie mit dem Textlayout spielt. Da werden alle Worte, die mit dem Schläger zu tun haben (Namen und Pronomen) durchgestrichen, weil Nova ihn aus ihrem Leben streichen will. Ganze Verse werden gekippt, weil die Welt Kopf steht, oder spiralförmig angeordnet, um eine Rollschuhfahrt zu visualisieren.
„Die Sonne, so strahlend und Schwarz“ eignet sich schon aufgrund der vielfältigen Gesprächsanlässe zum Einsatz im (fächerübergreifenden) Unterricht ab der 9. Klasse, ggf. in Auszügen. Zudem bieten gerade Versromane eine wunderbare Möglichkeit, um Schüler:innen an die sonst so verhasste Lyrik heranzuführen. Alternativ gehört dieser Roman auf jede Leseempfehlungsliste für jugendliche und erwachsene Leser:innen!
Der Thienemann Verlag bietet zu diesem Jugendbuch Praxisimpulse zum Download an.
Chantal-Fleur Sandjon: „Die Sonne, so strahlend und Schwarz“. Stuttgart: Thienemann, 2022. Ab 14 Jahren.