Endlich Sommerferien! Eigentlich die schönste Zeit des Jahres für die 13-jährige Sofija, aber in diesem Jahr läuft alles anders. Statt die Urlaubszeit mit Eltern, Geschwistern oder Freunden zu verbringen, muss Sofija mit ihrer Oma auf die kroatische Insel Hvar zu Omas Schwester Lucija fahren. Während sich die Großmutter, die nach dem Zerfall Jugoslawiens zum ersten Mal in ihr Heimatdorf zurückkehrt, auf das Wiedersehen freut, ist der Urlaub für Sofija der reinste Teenager-Albtraum.
Diesen Albtraum hält Sofija in einer Art Tagebuch fest, dessen Einträge sich über einundzwanzig Nächte erstrecken. Schlaflose Nächte, in denen sie sich eingesperrt fühlt in dem kleinen stickigen Zimmer, das sie mit der Großmutter teilen muss. „Oma schnarcht. Ich raste aus. Und die Mücken bringen mich erst recht auf die Palme.“ Tagsüber ist es kaum besser. Sofija ist ausschließlich von alten Leuten umgeben, eingeschränkt durch die vielen Verbote ihrer Großmutter und von der Außenwelt abgeschnitten, da es im Haus keinen Internetzugang gibt. Die meisten Tage bestehen aus „eine(r) Schicht Langeweile, eine(r) Schicht alte Leute, dann zwei Schichten Langeweile und drei Schichten alter Leute“. Sofija versucht dem Urlaub zu entfliehen indem sie ihre Gedanken fliegen lässt: zu ihren Freundinnen in Belgrad zu Nona Luce, die ihr sehr viel zugewandter ist als ihre Oma, und zu den Büchern, die sie tagsüber liest. Gleichzeitig gelingt es ihr schrittweise, sich auf die Situation einzulassen. In Auseinandersetzungen und Gesprächen mit ihrer Großmutter und Großtante erfährt sie viel über die Spuren, die der Jugoslawienkrieg hinterlassen hat, und die Mauern, die dadurch in ihrer Verwandtschaft entstanden sind. Doch Mauern lassen sich einreißen, merkt Sofija, als sie Onkel und Tanten kennenlernt und schließlich mit Cousin und Cousine die Insel erkundet. Endlich unterwegs mit Gleichaltrigen lässt auch die erste große Liebe nicht lange auf sich warten, so dass der Urlaub letztendlich viel zu schnell vorbei ist und Sofija sich sicher ist, dass sie im nächsten Sommer wiederkommen wird.
Mit „Der Sommer, als ich fliegen lernte“, einem der wenigen Bücher aus dem ehemaligen Jugoslawien, die ins Deutsche übersetzt wurden, ist der in Serbien sehr bekannten Jugendbuchautorin Jasminka Petrovic ein vielschichtiger Coming-of-Age-Roman gelungen. Das Buch liest sich wie ein luftig-leichter Sommerroman und streift gleichzeitig die Thematik des Jugoslawienkriegs. Sehr gelungen ist, dass dabei nicht historische Daten im Vordergrund stehen, sondern die Folgen der kriegsbedingten Spaltungen innerhalb von Familie und Gesellschaft thematisiert werden. Sprachliche und kulturelle Unterschiede werden aufgezeigt und geschickt in die Handlung integriert. Die-Ich Perspektive der Tagebucheinträge von Sofija erleichtert den Leser:innen den Zugang zur Geschichte. Sie sind sprachlich einfach formuliert, manchmal aber etwas gewollt jugendhaft. Das Happy-End der Geschichte mag zunächst etwas zu süßlich erscheinen, ist aber stimmig. Insgesamt eine etwas andere, aber durchaus empfehlenswerte Sommerlektüre!
Die erfolgreiche Verfilmung des Buchtitels wurde in Serbien mehrfach ausgezeichnet. Ab Ende August 2023 wird der Film zum Buch auch in den deutschen Kinos zu sehen sein.
Petrović; Jasminka: Der Sommer, als ich fliegen lernte. München: Tulipan, 2023. Ab 12 Jahren.